Reemtsma:
Der mutigste Kunde der Welt
Wohl kaum eine Branche leidet unter derart harten Werbe-Restriktionen wie die der Tabak-Konzerne. Genau das macht es für uns PR-Leute so spannend. Der klassische Werbemix ist gandenlos eingeschränkt, der Anteil und Einfluss von Marken-PR dafür ziemlich voluminös.
Wir hatten das große Glück, als PR-Leadagentur fast eine Dekade lang einen der größten Tabak-Konzerne der Welt international beraten zu dürfen. Mit unserer Hilfe konnte der Konzernumsatz um fast zwei Milliarden, auf über fünf Milliarden gesteigert werden. Ermöglicht wurde dieses Wachstum durch die wahrscheinlich mutigste Marketingabteilung, die es zu dem Zeitpunkt in Europa gegeben hat. Sie waren offen für jede spektakuläre Idee, die die Markenwerte transportierte, egal wie verrückt sie auch klingen mochte.
Das völlig angstfreie Reemtsma-Marketingteam machte den Weg frei, um als Hauptsponsor in die Formel 1 zu gehen. Sie protegierten die Idee, den legendären „2-Seater“ (ein umgebauter Formel 1 Bolide, der einen extrem verkleinerten Tank und somit Platz für einen zweiten Sitz hinter dem Fahrer hatte) bauen zu lassen und damit durch die Innenstädte Europas zu brettern. Millionen von Menschen, die normalerweise nie zu einer Rennstrecke pilgern würden, waren begeistert.
Reemstma liebte die total irre Idee, eine von Künstlern bemalte russische Proton-Rakete ins Weltall zu schiessen (viele Jahre, bevor Elon Musk als Marketing-Gag einen Tesla nach oben jagte) oder ein eigenes Kosmonauten-Trainingsprogramm für Grenzerfahrungen (man kann in einer Zentrifuge tatsächlich so schnell im Kreis herumgeschleudert werden, dass man schwarz-weiß und nicht mehr farbig sieht) machen zu können.
Solange es funktionierte und die Markenbeliebtheit der West, Davidoff, R1, Players und der anderen Marken wuchs, durften wir alles machen: Wir suchten nicht die besten Kunstwerke Deutschlands, sondern die mit Abstand schlechtesten (Bad Art) und gewannen damit die Herzen des Feuilletons, dessen Redakteure endlich mal etwas Anderes zu sehen bekamen.
In unserer Zeit als PR Leadagentur haben wir über einhundert teilweise wahnsinnige PR-Kampagnen gestartet, die vom Wettbewerb nur mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen goutiert wurden. Nach dem Verkauf von Reemtsma an einen englischen Tabakkonzern haben wir unsere Zusammenarbeit beendet und im direkten Anschluss viele Jahre für den damaligen Wettbewerber Reynolds Tobacco aus den USA gearbeitet. Aber das ist eine andere Geschichte…